Was du nicht hast, dem jagst du ewig nach, vergessend, was du hast..

 Rezension 

"Das unsichtbare Leben der Addie LaRue" von V.E. Schwab

 

Adeline LaRue wird 1691 in dem kleinen Dorf Villon-sur-Sarthe in Frankreich geboren. Schon früh stellt sich heraus, dass sie anders als andere ist. Sie will frei sein, ihren eigenen Weg finden und die Wahl haben, wen sie lieben wird oder ob sie lieber allein bleiben möchte. Leider decken sich diese Ansichten überhaupt nicht mit denen ihrer Eltern und den restlichen Dorfbewohnern. Als sie dann dazu gezwungen wird, einen älteren Witwer aus dem Dorf zu heiraten, damit sie versorgt ist, entscheidet sie sich dazu, einen Weg zu gehen, vor dem sie ausdrücklich gewarnt wurde: Sie betet die älteren Götter an und bekommt die Aufmerksamkeit eines Schattens..

Ich habe selten ein so melancholisches Buch gelesen. Die Reise der Adeline LaRue zu einem freien, selbstbestimmten Leben ist keine farbenfrohe Reise, sondern von Grautönen in vielen verschiedenen Nuancen gezeichnet. Adeline muss viele Rückschläge in den vor ihr liegenden Jahrhunderten von Jahren verkraften und sie denkt oft darüber nach, einfach aufzugeben. Dabei konnte ich den Schmerz von Adeline sehr gut nachempfinden. Ich fände es einfach furchtbar, wenn mir ein Leben vorgegeben würde, dass ich aber nicht leben möchte. Adeline soll wie die anderen Frauen in ihrem Dorf heiraten und Kinder bekommen, da es ihr Zerstreuung bringen und ihren ruhelosen Geist beruhigen würde. Allerdings merkt man als Leser, dass sie eine wissbegierige, kreative und welthungrige junge Frau ist, die einfach nur leben möchte, wie sie es möchte. Ihr einziger Ausweg besteht deswegen darin, einen alten Gott anzubeten und ein Opfer darzubringen. Sie wird erhört, aber der Preis ist hoch.

Gerade dieser Preis hat mich sehr nachdenklich zurückgelassen. Sie wünscht sich, frei zu sein und erreicht, dass sie fortan von jedem augenblicklich vergessen wird, wenn er sich von ihr entfernt nach dem Motto „aus dem Auge aus dem Sinn“. Dadurch ist es ihr nicht möglich, Freundschaften oder Beziehungen aufzubauen, weil sich niemand an sie erinnert. Aber auch alltägliche Dinge wie z.B. ein Zimmer für eine Nacht zu mieten, stellt sich als unmöglich dar, da der Hotelbesitzer immer wieder vergisst, dass sie schon bezahlt hat. Damit ist Adeline zwar frei, aber einsam. Der falsche Gott, der ihren Wunsch erfüllt, behauptet zwar, dass es die reinste Form der Freiheit sei, da man keine Verpflichtungen mehr gegenüber anderen eingehen muss, allerdings vermute ich, dass Adeline sich etwas anderes unter „Freiheit“ vorgestellt hat. Wieder einmal bewahrheitet sich der Satz, dass man vorsichtig sein muss, was man sich genau wünscht.

Ein Lichtblick taucht jedoch in Form des Buchhändlers Henry aus. Obwohl es aufgrund des Fluchs schlichtweg unmöglich ist, kann er sich an Adeline erinnern, auch wenn er sich von ihr entfernt. Zum ersten Mal fühlt sich Adeline geborgen und hat jemanden zum Reden. Dieses Zusammentreffen fand ich sehr schön, wenn es sich auch nie wie echte Liebe angefühlt hat, sondern eher wie eine Zweckgemeinschaft, da er eben der Einzige ist, der sich an sie erinnern kann. Sie sind darüber hinaus einfach ein gutes Team. Zudem verbirgt Henry auch ein Geheimnis, dessen Auflösung zusätzlich spannend war, da es auch viel mit dem Wunsch von Adeline an den falschen Gott zu tun hat.

Ebenso fand ich es schön, dass Adeline immer wieder Mittel und Wege findet, ihren Fluch zu umgehen. So kann sie zwar selbst keine Spuren hinterlassen und etwas zeichnen oder aufschreiben, aber andere können es und so entstehen nach und nach Kunstgegenstände, die Adeline in den Jahrhunderten in Museen anschauen kann. Sie kann zwar nicht direkt in das Weltgeschehen eingreifen, aber sie kann es von außen beeinflussen. Diesen Umstand fand ich einfach genial!

Aus diesem Grund kann ich jedem dieses Buch empfehlen, der die melancholische Reise einer jungen Frau begleiten möchte, die nicht darauf geachtet hat, was sie sich genau wünscht 😊

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