Gewissenszwang ist die schlimmste Form der Unterdrückung

 Rezension 

"Die Töchter des Nordens" von Sarah Hall 

Schwester hält es keinen Tag länger in ihrem bisherigen Leben aus. Die Welt, die sie früher gekannt hat, gibt es nicht mehr. England steht am Abgrund, die Zentralregierung ist zerfallen und die Menschen organisieren sich in einzelnen Siedlungen, um ums Überleben zu kämpfen. Nahrung gibt es nur noch in Dosen und wird stark rationiert. Jeder muss einer Arbeit nachgehen, auch wenn sie noch so sinnlos erscheint und niemand darf mehr frei entscheiden, ob er Kinder bekommen möchte, da man das Recht auf ein Kind nur durch eine Lotterie gewinnen kann. Schwester sieht ihren einzigen Ausweg darin zu fliehen und sich auf die Suche nach Carhullan zu begeben, die letzte selbstbewirtschaftete Farm in der Hand von Frauen, die sich gegen das System auflehnen.

Innerhalb eines Tages habe ich dieses Buch regelrecht verschlungen. Packend und intensiv wird in sieben Akten die Reise von Schwester nach Carhullan erzählt und wie sie dort ein neues Leben beginnt. Zwar ist sie am Anfang noch davon überzeugt, dass Carhullan ihre einzige Option ist, um wieder ein selbstbestimmtes Leben zu führen, aber schon bald merkt sie, dass selbst Carhullan nicht vor Unterdrückung zurückschreckt, um übergeordnete Ziele zu erreichen. Gerade dieser Aspekt hat mir besonders gut gefallen.

Denn als ich den Klappentext im Vorfeld gesehen und die Frage gelesen habe „Können Frauen eine bessere Welt erschaffen?“, hatte ich schon meine Befürchtungen, dass das Buch eine sehr einseitige Sicht auf die Dinge einschlägt nach dem Motto: „Wenn Frauen an der Macht sind, dann kann es nur besser laufen“, allerdings haben sich diese Befürchtungen nicht bewahrheitet. Dieses Buch zeigt unverfälscht und ohne Wertung eine Gruppe von Menschen, die nicht davor geschützt ist, sich im Laufe der Zeit zu verändern. Am Anfang erschaffen sie ein Paradies für Frauen, in dem Frauen so leben können, wie sie wollen, aber bald schon verändert sich das Klima in dieser Gruppe. Die Entbehrungen nehmen zu, der Ton wird rauer und es herrschen Zustände wie in einem Gefängnis oder in einem Militärlager. Verantwortlich dafür ist die Anführerin dieser Gruppe, Jackie Nixon.

Jackie Nixon ist ein Charakter in diesem Buch, der sehr stark polarisiert. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund, ist derb und laut und wirkt in manchen Szenen regelrecht entrückt, wenn sie auf einem Tisch tanzt, als endlich der König von England gestorben ist. Sie führt mit strenger Hand Carhullan und schreckt auch nicht davor zurück, ihre Farm in ein regelrechtes Militärlager zu verwandeln, um endlich ihre Rache am System zu bekommen. Allerdings war sie nicht immer so gewesen. Sie wollte früher alte Denkmuster aufbrechen und etwas Neues mit der Farm erschaffen, um Frauen eine Zuflucht zu bieten. Jedoch ist selbst eine Jackie Nixon nicht davor geschützt, vom Leben gezeichnet zu werden. Als ihr das Wichtigste auf der Welt genommen wird, ändert sich ihre komplette Haltung und sie geht zum Angriff über.

Darüber hinaus hat es mir auch sehr gut gefallen, wie verschiedene Fragen während der Handlung aufgeworfen werden. Ein Gespräch ist mir dabei sehr in Erinnerung geblieben, als Jackie Nixon Schwester fragt, ob sie denkt, dass eine Frau, wenn sie Gewalt anwendet, dies eher als Aggressor tut oder weil sie sich verteidigen will und ob eine Frau nicht auch mal von sich aus Gewalt anwenden kann. Zwar diente dieses Gespräch schon damals dazu herauszufinden, wie Schwester generell zu diesem Thema eingestellt ist, aber trotzdem haben mich diese Gespräche nachdenklich gestimmt.

Aus diesem Grund kann ich jedem dieses Buch empfehlen, der ein Buch über eine dystopische Zukunft von England lesen und erleben möchte, wie die Einstellung einer Anführerin eine gesamte Gruppe beeinflussen kann. 

 

Vielen lieben Dank an das Bloggerportal von Penguin Randomhouse für das Bereitstellen des Buches! 💖

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