Familie ist bedingungslose Liebe und Hilfe, ohne danach zu fragen.

 Rezension 

"Das gelbe Haus" 

von Mieko Kawakami 

Durch Zufall stößt Hana auf einen Artikel, in dem es um eine Kimiko Yoshikawa geht, die verhaftet worden ist, weil sie eine Frau in den Zwanzigern fünfzehn Monate in ihrer Wohnung festgehalten, misshandelt und schwer verletzt haben soll. Der Artikel lässt sie einfach nicht los, denn sie weiß instinktiv, dass es sich nur um ihre Kimiko handeln kann. Die Frau, mit der sie vor ungefähr zwei Jahrzehnten ein paar Jahre zusammengewohnt hatte. Wie von selbst öffnet sie den blauen Karton, in dem sich Dinge befinden, die sie einfach nicht wegwerfen konnte, und taucht erneut in ihre Vergangenheit ein.

Ich habe diesem Buch regelrecht entgegengefiebert, da ich schon Bücher von Mieko Kawakami gelesen habe und immer wieder von ihren Geschichten angetan bin. Denn sie öffnen für mich einen Spiegel in die japanische Gesellschaft, der mir ansonsten verwehrt bleibt. Da es in diesem Buch um Freiheit, Freundschaft und Familie gehen soll, war ich sehr gespannt, zu erfahren, wie diese Themen von ihr behandelt werden.

Im Mittelpunkt ihrer Geschichte steht Hana Ito, die in einem Geschäft für Feinkost und Fertiggerichte arbeitet und allein in einem kleinen Appartement in Tokio lebt. Dadurch hat mich die Protagonistin direkt ein bisschen an die Protagonistin von „Die Liebenden der Nacht“ erinnert und mir wieder vor Augen geführt, dass ein solches Leben in japanischen Städten sehr häufig vorkommt. Es wirkt von Anfang an ein bisschen trostlos und einsam und doch ist es eine weit verbreitete Lebensrealität.

Doch der Artikel über Kimiko Yoshikawa wirft Hana komplett aus der Bahn und sie muss in ihre Vergangenheit eintauchen, die alles andere als langweilig war. Allerdings hatte ich auch ein bisschen Sorge, herauszufinden, was Hana in ihrer Vergangenheit erlebt hat, denn wenn Kimiko nun wegen Freiheitsberaubung und Misshandlung angeklagt ist, kann Hana keine rosige Vergangenheit gehabt haben. Dieser erste Eindruck hat sich für mich auch relativ schnell bewahrheitet, wenn auch in eine völlig andere Richtung.

Denn Kimiko ist nicht das Problem, sondern viel eher die Lebensumstände, in denen Hana aufwachsen muss. Armut ist für Hana ein Thema, das sie ihr ganzes Leben lang begleitet. Egal, ob sie mit ihrer Mutter in einem Appartement ohne eigenes Bad leben muss oder später auf die schiefe Bahn gerät und anderen Menschen Geld stiehlt. Nie ist es genug bzw. sie kommt immer wieder an einen Punkt, an dem sie alles verliert, wofür sie so lange „gearbeitet“ hat.

Es ist fast schon eine tragische Geschichte, wenn sie nicht den Rückhalt von Kimiko hätte. Sie ist immer wieder im Laufe ihres Lebens für sie da und hilft ihr mit ihrer ganz eigenen Art aus ihren Krisen heraus. Ich fand die Freundschaft zwischen diesen beiden Frauen sehr besonders, denn sie agieren in manchen Situationen wie zwei Seelenverwandte, die sich auch ohne große Worte verstehen, und dann wieder in anderen Situationen ist Kimiko eine gute Lehrerin für Hana und sie verhalten sich wie Mutter und Tochter.

Für mich ist es eine Geschichte, die ohne große Dramatik eine wundervolle Geschichte über wahre Freundschaft und Vertrauen in einer kalten, hoffnungslosen Welt erzählt. Ich kann jedem dieses Buch ans Herz legen, der eine Geschichte über eine Frau lesen möchte, die aus der Armut fliehen möchte, um mehr zu bekommen als sie hat, ohne zu wissen, dass sie das wertvollste Gut im Leben schon gefunden hat.

Vielen lieben Dank an den Dumont Verlag für das Rezensionsexemplar! 💖 

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